Donnerstag, 31. März 2011

Bericht: Parlamentsbesuch - Treffen mit dem Vizepräsident des Verfassungsausschusses

von Eszter Sályi

Parlamentbesuch am 1. März 2011 -
Treffen mit dem Vizepräsident des Verfassungsausschusses

Am 1. März 2011 besuchte eine Gruppe von Studenten der Vorlesung Vergleichendes Verfassungsrecht gemeinsam mit Professor Dr. Stephan Kirste das Ungarische Parlament. Auf Vermittlung der Referentin des Sicherheitskabinetts der FIDESZ-Fraktion, Frau Zsófia Sánta führte die Gruppe ein längeres Gespräch mit dem Vizepräsident des Ad-hoc-Ausschusses, verantwortlich für die Vorbereitung der neuen Verfassung, Herrn Gergő Gulyás. Zunächst stellte Herr Gulyás die Eckpunkte der neuen Verfassung dar, während er die Notwendigkeit der aktuellen Verfassunggebung betonte. Er erinnerte die Teilnehmer daran, dass Ungarn das einzige postkommunistische Land ist, das seit der Wende, trotz seiner vorläufigen Verfassung (Gesetz Nr. XX. von 1949 über die Verfassung der Republik Ungarn) immer noch kein neues Grundgesetz angenommen hat.
Die neue Verfassung, mit solchen Zentralbegriffen wie Rechtsstaat, Demokratie, christliche Wurzeln, Menschenwürde, usw. setze als Ziel gar nicht die Modifizierung der jetzigen Staatsordnung, diese bliebe nämlich im Wesentlichen unberührt. Neue Elemente würden allerdings im Grundgesetz erscheinen, so wie die Zitation des ersten Satzes der ungarischen Nationalhymne („Gott, segne den Ungarn) als Einleitung des Gesetzes, oder die Heilige-Krone-Lehre. Die Veränderung Ungarns amtlicher Bezeichnung von „Republik Ungarn“ auf „Ungarn“ wird auch vorgeschlagen.
Später ging Herr Gulyás dann auf verschiedene Fragen der Studenten und Prof. Kirste ein. Bezüglich der Legitimation der Verfassunggebung, lehnte Herr Gulyás eindeutig ab, dass diese ohne Öffentlichkeit durchgeführt worden wäre, denn es seien nicht nur alle wahlberechtigten Bürger, sondern auch verschiedenste Gremien gehört worden. Legitimation erfordere, im Weiteren, eine rechtmäßige Abstimmung und eine solche Anwendung der Verfassung in der späteren Praxis, die dem Staat rechtstaatliche Rahmen gewährleistet. Die erste Voraussetzung fehlte vollständig bei der letzten ausführlichen Modifizierung der jetzigen Verfassung, die in 1989 stattfand. Trotz dieses Defizits ermöglichte das geltende Grundgesetz in den letzten 20 Jahren Ungarns rechtstaatliches Funktionieren.   
Es wurde auch gefragt, ob Herr Gulyás nicht der Meinung sei, dass der Zeitrahmen der Verfassunggebung mit Rücksicht auf Ungarns EU-Ratspräsidentschaft zu eng gesteckt wäre. Er bestätigte, dass der Aufgabenbereich bezüglich der Ratspräsidentschaft völlig unabhängig von der Verfassunggebung koordiniert wird, außerdem brachte er Deutschland als ausländisches Beispiel, dessen Grundgesetz zwischen September 1948 und Mai 1949 vorbereitet und angenommen wurde.
Als weiterer, oft diskutierter, Punkt tauchte im Gespräch die zukünftige Regelung der Modifizierung der Verfassung auf. Einem früheren Vorschlag zufolge hätten zwei aufeinander folgende Parlamente den Änderungen in unveränderter Form, jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen. Die aktuelle Konzeption erfordert im Gegenteil nur die Zweidrittelmehrheit des Parlaments als gesetzliche Voraussetzung für die eventuelle Modifizierung der Verfassung. Laut Herrn Gulyás wird die Stabilität der Staatsordnung durch diese Regelung auf absolute Weise gewährleistet, denn des ungarischen Wahlsystems benötigt das Erwerben einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit, eine solche gesellschaftliche Unterstützung, die eindeutig als stabile Basis zu einer eventuellen Grundgesetzveränderung zu erkennen ist.
Das Wahlrecht für Kinder wird wahrscheinlich nicht in den neuen Verfassungstext integriert sein, der Schutz des Lebens von seiner Empfängnis an und der Schutz der Familie werden allerdings als zentrale Begriffe erscheinen. Herr Gulyás bestätigte in diesem Zusammenhang, dass der Verfassungsausschuss auf der Basis der maßgebenden geltenden Regelung bleiben und auf keinen Fall ein allgemeines Abtreibungsverbot durchsetzen will. Im Weiteren betonte er, dass die Voraussetzung des Schutzes der Familie, der Schutz der Ehe ist, die ihren gesellschaftlichen Zweck nur dann erfüllen kann, wenn die zwischen Mann und Frau geschlossen wird. Die Ehe wird in der Zukunft, dem Urteil des Verfassungsgerichts entsprechend, auch ausschließlich als Verbindung zwischen Mann und Frau betrachtet. Wichtig ist aber, dass gleiche Rechte für alle Kinder, und Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft gewährleistet werden sollen.
Herr Gulyás reagierte auf Fragen, dass die Befugnisse des Verfassungsgerichts modifiziert sein werden. Details machte er noch nicht bekannt, allerdings erwähnte er, dass das Verfassungsgericht selbst die Veränderung seiner Befugnisse vorgeschlagen hat.
Zum Schluss wurde Herr Gulyás gefragt, ob er die neue Verfassung eher typisch ungarisch oder eher europäisch bezeichnen würde. Er meinte, dass die Betonung der Werte der ungarischen Geschichte zwar wichtige Elemente der Verfassung bilden werden, diese seien aber zu einem großen Teil nicht nur Basis der ungarischen, sondern auch der europäischen Kultur.

Der Verfassungsausschuss wird die Verfassungskonzeption am 14. März 2011 dem Parlament einreichen, während die Schlussabstimmung aller Voraussicht nach im April 2011 stattfinden wird.


Eszter Sályi





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